Viele Wein produzierende Betriebe seien aktuell nicht profitabel und könnten daher auch nicht ökologisch oder sozial nachhaltig arbeiten, erklärte Loose im Gespräch mit den wein.plus-Redakteuren Alexander Lupersböck und Uwe Kauss: „Diese Weingüter werfen nicht genügend Einkommen für die Familie und keine Verzinsung für das eingesetzte Kapital ab.“
Die deutsche Weinbranche sei „wie ein Eisberg“: „Wir reden vor allem nur über den sichtbaren Teil der Spitze, also die erfolgreichen Weingüter. Unter ihnen gibt es viele Betriebe, die ohne Nebengewerbe oder andere Einkommensquellen nicht überleben würden“, berichtete die Professorin für Betriebswirtschaft des Wein- und Getränkesektors. Steigende Zinsen, verdoppelte Materialkosten, immer größerer Arbeitskräftemangel und steigende Personalkosten bei zugleich stagnierenden Erlösen erzeugen für sie in der Folge „einen perfekten Sturm“: „Schon jetzt kann jeder zweite Betrieb in der Weinbranche nicht alle offenen Stellen besetzen, vor allem Saisonkräfte fehlen überall.“
Dies werde künftig zu einem massiven Druck hin zur weiteren Mechanisierung der Weinberge führen. Die dazu nötigen Investitionen müssten die Weingüter aber erst erwirtschaften. Doch das werde immer schwieriger: „Die Situation der Branche war vorher schon instabil und ist durch jahrzehntelangen Strukturwandel geprägt“, betont Simone Loose. Verschärft werde die Lage, weil nicht alle Winzer wirtschaftlich denken würden: “Viele wollen nicht nachrechnen, was sie wirklich verdienen.”
International geht die Nachfrage nach Wein derzeit zurück. „Auf der Welt gibt es, je nach Jahr, rund zehn Millionen Hektoliter Wein zu viel, was die weltweiten Preise drückt. Salopp formuliert: Wein im Volumen der gesamten deutschen Erntemenge ist überflüssig“, berichtet die Branchenexpertin. Das bedroht auch die Existenz deutscher Winzer: „Im unteren Preissegment kann man in Deutschland nicht noch billiger produzieren. Diese Erzeuger sind in Gefahr, wegzubrechen.“
Doch auch die Erzeuger hochwertiger Weine würden die Krise oft deutlich spüren: “In Deutschland haben laut Umfragen derzeit rund 30 Prozent der Haushalte am Monatsende kein Geld mehr übrig. Wenn sie für Energie das Doppelte bezahlen, müssen sie den Betrag woanders einsparen.” Wohlhabende Haushalte würden zwar weiterhin guten Wein kaufen, doch das Premium-Segment sei in Deutschland längst besetzt: „Sich dort als Aufsteiger einen Namen zu machen, ist heute sehr schwer – wenn auch nicht unmöglich. Aber es ist eine Illusion, zu glauben, dass für alle deutschen Produzenten genug Platz im Premium-Segment ist.“ Die besten Chancen hätten Weingüter derzeit noch im Export, da deutsche Weißweine im Ausland einen immer besseren Ruf genießen.
Der auch in Deutschland längst spürbar gewordene Klimawandel verschärft für Loose die Krise zusätzlich: „Wir verzeichnen dadurch vor allem sinkende Hektarerträge - und brauchen künftig immer mehr Bewässerungsanlagen. Wer bezahlt deren Anschaffung und Betrieb? Wer baut die notwendige Infrastruktur? Diese Kosten werden für die Weingüter nur schwer umzulegen sein.”
Die Folge: “Ich denke, dass wir in den kommenden zehn Jahren nicht alle Rebflächen erhalten können, die wir heute noch haben”, beschreibt sie den Wandel. “Mit der Hand bearbeitete Steillagen und Kleinst-Terrassen sind die ersten, die aufgegeben werden. Die können heute schon meist nicht mehr kostendeckend bewirtschaftet werden - mit Ausnahmen von ein paar Ikonen.” Einen möglichen Ausweg sieht sie in einer Strukturveränderung der deutschen Weinproduktion: “Eine stärkere Arbeitsteilung in effiziente Traubenproduzenten und hervorragende Vermarkter, wie wir sie aus vielen anderen Ländern bereits kennen, würde uns helfen.”
Doch die nötigen Veränderungen stellten viele Inhaber-Familien der Weingüter vor große Probleme. Denn einen überalterten Betrieb mit hohem Investitionsbedarf führe oft niemand weiter, weiß Prof. Loose: “Solche Veränderungen sind für die Eigner verdammt hart. Man hat seine ganze Lebenszeit in den Betrieb investiert, den man schon von den Eltern übernommen hat und denen man sich verpflichtet fühlt. So was gibt man nicht einfach auf. Oft geschieht der harte Bruch erst, wenn keines der Kinder übernehmen will.”